Neuigkeiten rund um Esperanto

 

Erziehung in zwei Sprachen

Einige persönliche Erfahrungen von Werner Pfennig bei der Erziehung von Kindern ab der Geburt in deutsch und Esperanto.

1. Entscheidung

Als bei uns die Entscheidung zu diesem Problem im Jahre 1979 anstand, haben wir uns, soweit es damals möglich war, belesen und durch Gespräche ausgiebig informiert.

In der DDR waren seinerzeit sprachlich gemischte Familien relativ selten, aber nicht jedes „gemischte“ Elternpaar hat ihrem Nachwuchs auch beide Sprachen vermittelt.

Nachdem wir uns einig waren, ging das damals bei uns ganz natürlich und ohne Aufsehen vonstatten, es wurde einfach praktiziert. Auf diese Erfahrung basierte dann auch unsere Entscheidung, unsere Kinder (später waren es zwei) in deutsch und Esperanto zu erziehen.

2. Mit den Kindern ab der Geburt sprechen

Die Ratschläge waren seinerzeit: „eine Person, eine Sprache“, daran haben wir uns auch stets konsequent gehalten.

3. Wer spricht welche Sprache?

Die Mutter sprach deutsch, ihre Sprache nannten wir später für die Kinder zunächst „panjolingvo“ und der Vater sprach Esperanto, das war also die „paĉjolingvo“. Es ging besser als gedacht, natürlich muss man sich selbst erst daran gewöhnen.

4. Selber beständig sein

Esperanto ist keine „Sonntagssprache“, in allen Situationen des täglichen Lebens sollte man ausnahmslos bei seiner vereinbarten Sprache bleiben.

Daraus folgt, dass man seinen Wortschatz in der ersten Phase ständig um jene unzähligen kleinen Dinge des Kleinkinderalltags zu erweitern hat. Dabei lernt man selbst am meisten.

Sehr gerne habe ich die erreichbaren Bilder-Wörterbücher (bildvortaroj) - diese waren immer sehr hilfreich - und natürlich auch die Standard-Wörterbücher genutzt. Eigene Vokabeln habe ich nicht erfunden“, obwohl sie gelegentlich tatsächlich fehlten. In der Regel suchte ich dann griffige Umschreibungen, denn ich wollte nicht, dass die Kinder die „erfundenen“ Vokabeln in den Wörterbüchern nicht finden.

Eigentlich klappte das Sprechen problemlos, es wurde die Esperanto-Alltagssprache in allen Situationen einfach angewendet.

Wohl an jedem Tag habe ich unseren Kindern (Nils, geb. 1980, Uta geb. 1981) die alten deutschen Märchen in Esperanto (in freier Übersetzung) per Bildwerfer vorgetragen, das wurde von ihnen gerne angenommen und wehe, ich verwendete aber nicht exakt immer die gleiche Worte bei der Wiederholung des Märchens.

5. Probleme

5.1 Das Kind ist krank

Wenn eines der Kinder wirklich krank war, kostete es wesentlich mehr Überwindung „sprachentreu“ zu bleiben. Es sind dann die die passenden Worte des Trostes und der Beruhigung zu finden. Nach einer gewissen Zeit lief auch das reibungslos.

5.2 Es kommt Besuch, der nur deutsch spricht

Hier versuchte ich so wenig wie möglich, direkt mit den Kindern zu sprechen, denn der Gast soll ja nicht brüskiert werden. So bat ich dann beim ersten Besuch des Gastes um Verständnis, wenn ich mit den Kindern Esperanto spreche. In der Regel wurde es wohlwollend akzeptiert, aber es gab auch viel Unverständnis und sogar Ablehnung.

5.3 Das Kind wird gehänselt

Besonders schmerzlich war es für unsere Kinder, wenn sie in der Kinderkrippe, dem Kindergarten oder später in der Schule von den Gleichaltrigen als Außenseiter wegen der zweiten Sprache gehänselt wurden. Leider half hier keine Aufklärung, warum und wieso, damals galt: wer „anders“ ist, gehört hier nicht her.

5.4 Besuch von Esperanto-Freunden

Bei ausländischen Freunden schalteten die Kinder problemlos auf Esperanto um, allerdings durften die Gäste nicht zeigen, dass sie auch deutsch sprechen. In diesem Fall war es bei dieser Person bei den Kindern mit dem Esperanto für immer vorbei.

Bei den deutschen Esperanto-Sprechern ist es mir niemals gelungen, und das trotz eindringlicher Bitten, sie zu bewegen, doch mit den Kindern in der „pajĉolingvo“ Esperanto zu sprechen.

Die Übermacht der deutschen Sprache in unserem Umkreis fügte sich so, dass die Kinder alles verstanden, was in Esperanto gesprochen wurde, aber konsequent in deutsch antworteten.

6. Wann beginnt man mit der Vermittlung der Schriftsprache?

In diesem Fall richtete ich mich an das Alter bei der Einschulung bei uns, also etwa sieben Jahre.

Die Esperanto-Buchstaben haben sie ohne Probleme hingenommen und wohl auch verstanden.

In den ersten Schuljahren beschaffte ich dann Märchenbücher in Esperanto und gab sie zum lesen, leider habe ich nicht geprüft,
ob sie auch alle Texte verstehen.

7. Esperanto in der Praxis

Von Anfang an begleiteten uns die Kinder zu den verschiedenen Esperanto-Treffen. Als erstes Treffen war natürlich das Esperanto-Familien-Zeltlager SEFT des Esperanto-Vereins Neubrandenburg. Hier hatten sie viel Gelegenheit, sich mit Sprachfreunden aus verschiedenen Ländern zu treffen und zu verständigen.

Anfang der 1990-er Jahre sagte Uta in Berlin (Esperanto-Klub am Lietzensee) das Gedicht „ho, mia kor`“ auf, es wurde begeistert aufgenommen. 2010 war sie per Esperanto in Kuba, eigentlich zum UK in Havanna, aber wegen meiner gefährlichen Krankheit blieb sie zwei Wochen in Santiago, um ihren Vater zu betreuen. Dort nahm sie mit der örtlichen Esperanto-Gruppe
Verbindung auf.

Nils nahm an seinen Wohnorten, ab seiner Lehre, Verbindung zu den Esperanto-Gruppen auf (z. B. Hamburg, Kiel, Herzberg). Er pflegt eigenständig seine internationalen Esperanto-Beziehungen. Nils nahm auch schon an einigen E.-Weltkongressen teil und leitet das Esperanto-Zeltlager.

8. Rückbetrachtung

Die Kinder sind nun selbst erwachsen und nutzen Esperanto vielfältig mit ihren Freunden in der Welt. Noch heute spreche und schreibe ich selbst mit ihnen in Esperanto – aber die Antworten kommen in deutsch zurück.

Zum Schluss die Frage: „hat es sich gelohnt und würdest du es wieder machen?“ Hier kann ich nur für mich selbst sprechen. Esperanto war die einzige Spache, die ich ihnen weiter vermitteln konnte. Besonders in den Jahren der Kindheit von Nils und Uta habe ich unendlich viel in unserer Sprache gelernt und es hat mir stets viel Freude bereitet.

Auf Grund der von mir bei dieser Sprachvermittlung gesammelten Erfahrungen kann ich jedem Freund nur empfehlen, es in seiner Familie oder im Freundeskreis (das Einverständnis der Eltern muß in dem Fall vorliegen) unbedingt zu versuchen. Es profitiert der Eigennutz für sich selbst, die Kinder lernen mühelos eine Sprache, die ihnen später das Erlernen weiterer
Sprachen wesentlich erleichtert. Aber man muß sich selbst „besiegen“ - durchhalten, durchhalten und niemals verzagen oder sich entmutigen lassen.

Jetzt bleibt abzuwarten, wie sich Esperanto in der nächsten Generation entwickelt. Auf jeden Fall werden unsere Enkelkinder ja aus erster Hand erfahren, dass es Esperanto gibt. Unser Neffe Emil, wurde 2015 geboren und hat schon Bekanntschaft mit Esperanto gemacht. Er und eventuell weitere Enkel lernen dann, dass das schlicht eine weitere Sprache ist, die von ihren Eltern
und Großeltern nach Bedarf und Gelegenheit gesprochen wird.....

Für Hinweise, Kritiken und Erfahrungen wäre ich sehr dankbar.

Werner Pfennig (E-Mail)

Esperanto-Verein Neubrandenburg e. V.
www.esperanto-nb.de

 

Veröffentlicht von Frank Huber am 30-11-2016, 20:13
Zuletzt geändert am am 01-12-2016, 09:41
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