Neuigkeiten rund um Esperanto
Sprachwandel und Sprachschöpfung |
Gedanken zum Geburtstag des Esperanto am 26. Juli
Dass es Esperanto gibt, ist eine Besinnung wert.
Sprachwandel
Sprachen wandeln sich. Sie können sterben, und es können neue Sprachen entstehen. Der Motor für den Wandel der Sprachen sind die Sprachkontakte, die neue Sprachen hervorbringen. Dieser Vorgang kann sowohl durch Ausdifferenzierung einer früheren Sprache, wie bei den Töchtern des (Vulgär-)Lateins, oder umgekehrt durch Vermischung geschehen, wie bei der Entstehung des Englischen. In letzterem Fall hat das normannische Französisch das Angelsächsische der britischen Insel überlagert.
In der Evolution des Menschen muss man unterscheiden zwischen der biologischen und der kulturellen Evolution. Die menschliche Sprache hat an beiden Entwicklungen teil. Wäre nicht der Kehlkopf des homo sapiens tiefer gesunken als er noch beim Australopithecus gelagert war, könnte der Mensch nicht seine differenzierten Laute artikulieren. Wäre sein Gehirn nicht imstande, in Symbolen zu denken, könnte er nicht seinen Lauten Bedeutung zuordnen.
Während die biologische Anlage den Menschen zum Sprechen befähigt, sind die konkreten Sprachen eine kulturelle Schöpfung der entsprechenden Gemeinschaft. Dass Sprachwandel in langen Zeiträumen fast unbemerkt geschieht, lässt uns leicht vergessen, wie der Mensch ständig in die Gestaltung seiner Sprache eingreift.
Sprachschöpfung
Eine Sonderform der Sprachgestaltung ist die bewusste Erfindung einer neuen Sprache, wie zum Beispiel des Esperanto. Esperanto wird heute von verstreut lebenden Menschen in allen Kontinenten gesprochen, seine Sprecher besitzen ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl. Die Sprache Esperanto ist aus einem Buch hervorgegangen, das am 26. Juli 1887 in Warschau veröffentlicht wurde. Dieses enthielt die Grundstruktur der neuen Sprache, beschrieben zuerst auf Russisch und dann nacheinander in Ausgaben auf Polnisch, Deutsch, Französisch und Englisch.
Sprachimperien
Das war zu einer Zeit, als der europäische Imperialismus seinem Höhepunkt zutrieb und zur Eroberung der noch nicht kolonisierten Teile der Welt ansetzte. Und jede Kolonie sollte selbstverständlich die Sprache des jeweiligen Eroberers übernehmen. Die Konferenz zur Aufteilung Afrikas unter die europäischen Mächte fand 1884/85 in der deutschen Reichshauptstadt Berlin statt.
Wirtschaftsimperien waren und sind auch Sprachimperien. Das britische Weltreich ging als Sieger aus der Konkurrenz um diese Vorherrschaft hervor. In der Folge des Streits um die Weltmacht zerlegten sich wenige Jahrzehnte später die europäischen Imperien in zwei aufeinander folgenden Weltkriegen gegenseitig. Die durch diese Katastrophe angestoßene Entkolonialisierung blieb jedoch bis heute unvollständig.
Kultur der Verständigung
Zum Selbstverständnis der Esperantosprecher gehört im Gegensatz zum kolonialen Denken das Ja zur Solidarität aller Nationen der Welt. Eine Politik des Ausgleichs, nicht der Herrschaft, ist die Grundlage des Zusammenlebens. Ausgleich kommt nicht von selbst, er braucht die bewusste Anstrengung für die Verständigung von Mensch zu Mensch. Vertrauensbildende Maßnahmen sind wirksamer als Drohgebärden, die leicht eine Spirale der Gewalt in Gang setzen. Probleme des Zusammenlebens durch Gewalt lösen zu wollen, ist wie eine ansteckende Krankheit. Gewalt erzeugt Gewalt. Der Waffenhandel ist heute das größte Krebsübel der Menschheit.
Verständigung schafft Sicherheit
Nicht die Gewalt schafft Sicherheit, sondern das Kennenlernen der anderen. Das Wissen um ihre Bedürfnisse baut die Angst ab und zeigt Wege für sinnvolle Lösungen. Sich für die anderen zu interessieren macht Fremde zu Bekannten. Esperantosprecher interessieren sich in der Regel mehr für fremde Sprachen als der Durchschnittbürger. Schon wenige Sätze in einer fremden Sprache sagen zu können oder zu verstehen, macht den betreffenden Fremden weniger fremd. Esperanto hat das Potenzial, Begegnungsbrücke zu sein.
Die Unvernunft nationaler Populismen ist heute vielerorts zu beklagen. Denkende Menschen halten solche rückwärtsgewandte Kurzsichtigkeit für brandgefährlich. Aktive Esperantosprecher wenden sich gegen Abgrenzung und nationalen Egoismus. Die Philosophie, die hinter Esperanto steht, kann man prägnant so zusammenfassen: Wir alle sind Menschen.
Schöpferischer Wandel
Esperanto ist eine Kulturschöpfung, die dem Wandel dient. Der Wandel von der Konfrontation zur Begegnung ist nicht nur eine politische, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das koloniale Denken steckt noch tief in unseren Anschauungen. Sie zu erkennen und zu überwinden, braucht es unsere bewusste Anstrengung.
Alois Eder
Zuletzt geändert am am 11-09-2016, 12:13